Lettenwürmer

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Lupus
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Lettenwürmer

Beitrag von Lupus » 28.01.2020, 09:45

Dies ist eine Geschichte, die sich am Donaukanal Mitte der 1970er Jahre abspielte.

Der Lettenwurm war damals einer der beliebtesten Angelköder. Er ist kleiner als der Tauwurm und besonders zäh, weshalb er gut am Haken hält. Die meisten großen Weißfische (Nerflinge, Nasen, Brachsen, Russnasen ) fingen wir in dem strömungsberuhigten Bereich bei der Urania.

Fast täglich saßen wir damals in Reih und Glied bei der Urania und fischten. Das war gar nicht so einfach, denn man saß dort wirklich Ellbogen an Ellbogen, und in dem damals noch extrem schmutzigen Wasser mit seinen ungeklärten Abwässern aus der ganzen Stadt dümpelten unsere zahlreichen roten oder weißen Korkschwimmer. Wehe dem, der über ein anderes Zeugl drüberwarf oder beim Einkurbeln die Montage eines anderen mitnahm. Da musste man sich gleich etwas anhören „Geh scheissn, Du klaana Scheißer, kannst Di´ glei ummihau´n auf die andere Seit´n“.
Das „auf die andere Seite gehen müssen“ war quasi eine Exkommunikation, denn das „andere Ufer“ war weniger erfolgsträchtig, da die Rinne des letzten Stückls vom Wienfluss, wo sich die beiden Strömungen, jene vom Donaukanal und jene vom Wienfluss trafen, eine sehr fangträchtige Kehre bildete oder noch immer bildet.

Wenn ich im Geiste diese Szenen wie einen alten Film herunterspule, war die Atmosphäre etwa jene, die den ersten „Kottan ermittelt“ -Folgen entsprach:

Ein total schiaches Umfeld, voll von Unrat und zahlreichen Ratten, und allerhand sonderbare Gestalten, die trotz des damaligen wirtschaftlichen Aufschwunges irgendwie auf der Strecke geblieben waren, und die ein wenig an den „Drballa“ aus den Kottan-Folgen erinnerten. Nicht zu vergleichen mit den vielen Freizeitmeilen, die es jetzt dort gibt, wodurch der Donaukanal „salonreif“ wurde.

Der „Geheimköder“ für die großen „Weißen“ war wie gesagt der Lettenwurm, er wurde nur einmal im vorderen Körperdrittel eingestochen und konnte sich sonst frei bewegen, denn ein Wurmbündel brachte weniger Erfolg bzw. war weniger „mundgerecht“ für die „Weißen“.
Das erste Mal fischte ich ja dort noch mit kleinen Mistwürmern und Maden, aber das brachte mir nur Hohngelächter der „Alten“ ein, denn damit fing man nur „Schußlauben“ oder „Schratzn“( ziemlich große Donau-Lauben, und Schrätzer, je nachdem).

Die Wurmsuche war keine legale Angelegenheit, denn dazu musste man in der Uferböschung des nicht mehr betonierten Flussbettes unterhalb der Franzensbrücke „buddeln“, und das war nicht erlaubt. Lettenwürmer leben nämlich am liebsten in dieser sandigen Erde knapp neben dem Flussufer.
Einen Typen gab es allerdings, der einem Würmer beschaffte gegen ein paar Schilling, oder noch besser für ein Packl Zigaretten oder ein „Schwechater Lager“ (das Bier mit dem berühmten „Plops“ Verschluss, den Ihr vielleicht noch aus den „Ein Echter Wiener geht nicht unter“-Sendungen kennt).

Dieser „professionelle Wurmsucher“ war ein ganz eigener Typ. Er sprach in dieser ur-wienerischen Umgebung mit einem markanten deutschen Akzent und trug einen abgetragenen braunen Anzug. Ansonsten hatte er ein hochrotes Gesicht mit zahlreichen geplatzten Äderchen, wohl vom übermäßigen Genuss alkoholischer Getränke. Niemand wußte sonst etwas von ihm. Er muss irgendwann einmal in Wien „gestrandet“ sein, was insoferne paradox erscheint, als Deutschland damals eindeutig als der reiche Nachbar von Österreich galt. Gar nicht wenige Österreicher gingen nach Deutschland in Fabriken arbeiten, beispielsweise zu den diversen Autowerken , weil es einfach mehr zu verdienen gab.
Wie auch immer, besagter „Deutscher“ tauchte regelmäßig bei uns Fischern bei der Urania auf. Er war aufgrund seiner „Wurmlieferungen“ sehr beliebt und konnte auf diese Art seine Gratisbiere bei uns trinken. Bier erzeugt allerdings auch Gase, und dieser Mann schien eine besondere Neigung zum „furzen“ zu haben, denn auf Schritt und Tritt machte es bei ihm „brrrrutsch“. Schaute man ihn dann an, schüttelte er vorwurfsvoll den Kopf und fragte „warst Du das ?“.

Egal ! Man war ja im Freien, besser gesagt am Ufer eines Gewässers, welches aufgrund der zahlreichen ungeklärten Abwässer sowieso „streng roch“. Ob mit oder ohne Furzerei, das war dasselbe.

Aber: Lettenwürmer bekamen wir jeden Tag geliefert und Fische fingen wir ganz ordentlich !
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Re: Lettenwürmer

Beitrag von Romario » 28.01.2020, 10:21

Herrlich! Was für eine großartige Geschichte - bravo! Aber wie grauslich muss das Wasser dort damals gewesen sein? Wie wenig Natur? Hast du dir da nix anderes gefunden? Und erst die ganzen Typen die dort saßen - herrlich schiach beschrieben.
Meist unfreundlich gegenüber den Jungen, herrisch und immer leicht eingespritzt. Aber Wien war damals eben eine viel rauerer Stadt als heute - heute ist alles "slimfitted" sauber und hell.
Kannst du dich noch an die klassische Wiener "G´Stetten" erinnern? Einfach eine unbebaute Fläche Mitte in der Stadt, zugewachsenen, meist mit ausgebombten Mauerresten übersät, überwachsen von Bäumen - herrliche Abenteuerspielplätze. Das gibts heute nirgendwo mehr. Oder erst das Überschwemmungsgebiet am Handelskai ...
greets
Woher kommt den der Name "Lettenwurm" - wohl nicht von der "Letten" oder?
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Re: Lettenwürmer

Beitrag von rob gone fishing » 28.01.2020, 10:29

danke für die super geschichte, war mitten drin im alten wien!
gibt es diese lettenwürmer auch am sandigen donauufer? die muss ich mal suchen...
lette kommt vom dreck, denk ich. lg rob
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Re: Lettenwürmer

Beitrag von grusteve » 28.01.2020, 10:39

Wieder eine sehr schöne Geschichte, Gerhard !
Lupus hat geschrieben:
28.01.2020, 09:45
Der Lettenwurm war damals einer der beliebtesten Angelköder.
Also ohne Lettenwurm war man damals irgendwie nur ein halber Fischer, er stank nicht so wie der Mistwurm und hielt ziemlich gut am Haken.
Bei uns in OÖ war die "Letten" eben eine Mischung aus Schlamm und Sand, die der danach benannte Wurm liebte. Besonders an Altarmen gab es das in Nähe des Wassers. Wir drückten einen Holzstock so 10-20 cm in die Letten und drehten diesen, worauf die Würmer-oft in richtigen Scharen- die Erde verließen, weil sie die Erschütterungen vermutlich für einen Maulwurf oder sonst einen Feind hielten.
LG
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Re: Lettenwürmer

Beitrag von Lupus » 28.01.2020, 10:43

Hallo Romario !

Ja, das Wasser war natürlich grauslig. Besonders, wenn man nicht mit Schwimmer fischte, sondern mit schwerem Bodenblei auf Barben, denn dann trieb es das ganze Heislpapier in´s Peryl. Und dann musste man es abzupfen, das sog sich ähnlich fest am Peryl wie die Pappelblüte im Mai (die "Baam-Bliah").

Und ja, für schöneres Fischen hatte ich eh Donaustadt, also das Überschwemmungsgebiet mit dem Stürzlwasser, welches ich so liebte. Aber zur Urania konnte ich auch an normalen Wochentagen nach der Aufgabe einfach mit der Stadtbahn bis Schwedenplatz hinfahren. Für´s Stürzlwasser musste ich noch zusätzlich mit Straßenbahn und Bus fahren, und das ging nur am Wochenende oder in den Ferien.
Ich behielt aber den Donaukanal auch noch kurze Zeit, als ich bereits motorisiert war, denn es war ideal zum Winterfischen mit Brotflocke auf "Weiße". Da "schwabten" wir meistens zwischen Augartenbrücke und Aspernbrücke drüben am Ufer vom 2. Bezirk, da war eine gute "Rinne", wo die "Weißen liefen".

Hallo Rob !

Also normalerweise gibt es die Lettenwürmer glaube ich schon am Donauufer, oder am sandigen Ufer von Altarmen. In den 70er und frühen 80er Jahren verkaufte ein Wiener Angelgeschäft sie auch und in der Annonce der Fischerzeitung stand "Lettenwürmer aus den Donauauen".
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Re: Lettenwürmer

Beitrag von Sixpack » 28.01.2020, 18:48

Mein bereits verstorbener Vater fischte auch ab den 50er Jahren am "Kanäu", allerdings weiter oben beim amerikanischen Flugplatz -
also heute Höhe Muthgasse im 19. Bezirk, bzw. auch bei der Nussdorfer Schleuse.
Damals schien es dort noch nicht reguliert gewesen zu sein, denn er schwärmte immer von den vielen Kehren mit den ins Wasser wachsenden Buschen.
Gefangen haben sie damals jede Menge -hauptsächlich Gangln, Nasen und Barben.
Meist wurde "gschwabt" -mit selbstgebauten Schwimmern und Brotflocke oder Maden.
Die Sitten und Gebräuche waren allerdings bis in die 70er Jahre auch etwas derber als heute.
Mein Vater, damals noch relativ jung, hatte einen Fischerkollegen -"da olte Horrak" -ein alter Tscheche mit einem Akzent der an Josef Schwejk erinnerte, der immer recht grob fischte und einfach alles mitnahm. (war nach dem Krieg ja ganz normal)
Ich habe ihn als Kind Anfang der 70er noch kennengelernt.
Wenn er z.B. einen untermaßigen Zander fing, drehte er ihm den Kopf um, und meinte: "is jo nua ane Fingaling!", und grinste sich eins.
Auch das "Reißen" war scheinbar ziemlich normal -speziell an der Schleuse.
Dabei wurde unterhalb eines riesigen Drillings eine schwere Bleikugel angebracht, und der Grund nach Fischen abgesucht.
Alles andere als waidgerecht, aber das interessierte damals die wenigsten -der Nahrungserwerb stand im Vordergrund.
Habe als jugendlicher bei der Friedensbrücke einen älteren Fischer kennengelernt, welcher sich auf Barben spezialisiert hatte.
Er fischte nur mit eine Rute - diese war extrem dick, einer offensichtlich selbst gebauten riesigen Metallrolle die an eine Nottinghamrolle
in XXXXXL-Format erinnerte, und verwendete kein Peryl, sondern ein dünnes Stahlseil -auch als Hauptschnur, und mit einem ebenso riesigen Blei!
Er hat zwar an dem Tag nichts gefangen, meinte aber: " Owa wenns scheppert, daunn uandlich!"
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