Der alte Schillinger
- Romario
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Der alte Schillinger
Es war ein brennheisser Sommernachmitttag irgendwann in den frühen 1990er Jahren und ich fuhr mit meinem roten Fiat Uno zu einer Talsperre in Tschechien, an der die Thaya zu einem See gestaut wurde. Dort gab es einen Camping Platz und dort gab es Fischer-Tageskarten für den See zu kaufen. Und natürlich Ruderboote auszuleihen.
Die Sonne brannte unbarmherzig vom Himmel und mein einziges Ziel war so schnell wie möglich aufs Wasser raus zu kommen. Ich hatte mein Auto sicher geparkt und war grad dabei das Ruderboot mit meinem ganzen Klumpert zu beladen, als mir ein kleines, drahtiges Manderl auffiel, das im Schatten eines Baumes auf seiner Werkzeugkiste saß – vielleicht 20m entfernt. Etwa 70 Jahre, gegerbte Haut, kurze Lederhose, offenes Hemd und ein wildes Kraut paffend, betrachtete er meine Anstrengungen das Boot zu beladen. Irgendwie ging mir seine Beobachtung auf die Nerven und ich brabbelte irgendwas von „Hot der nix anderes zu tun ...“
„I bin a Österreicher – i bin da Schillinger“ sagte er plötzlich und weiter: „I bin aus Znaim, geboren im 22er Jahr, mei Vater war K.u.K. Beamter aus Wien der in Znaim georbeitet hot. I bin in die österreichische Schule gangen in Znaim und dann is der Krieg kemma. Da Vota is nimma zruck kemma. Und danach wolltens uns vertreiben – waßt eh Südmährer. Oba mei Oma war eine echte Tschechin und deshalb samma blieben. Und dann hamma tschechisch lernen müssen in der Schul und brave Tschechen – echte Kommunisten werden. Oba i woa immer a Österreicher und do hamas net leicht ghobt ... “ Er schaute mir mit seinen traurigen Augen direkt in die Seele.
Ich stammelte etwas völlig unpassendes wie: „Naja, dann kannst eh jetzt wo die Grenze offen ist nach Österreich fahren ...“. „Und wos soll i do mochn?“ war seine Antwort. Da hatte er mich, das verwöhnte, behütet aufgewachsene Bürscherl wirklich am falschen Fuß erwischt. Ich, aufgewachsen in einer Demokratie in der ich alles sagen durfte – und auf der anderen Seite er. Was musste der Mann alles ertragen haben – der Verlust seiner Identität auch wenn er in der Heimat bleiben durfte. Das Schicksal hatte es wahrlich nicht gut gemeint mit ihm.
Das einzige was ihm geblieben war, war das Fischen. Ich glaub da vergaß er manchmal sein Schicksal. Und er war ein großartiger Fischer – ein echter „Wasserleser“. Sein Zeug war abenteuerlich. Primär hatte er all sein Kleinzeug in einer schweren Werkzeugkiste aus Metall. Kein Blei – Schrauben in verschieden Größen. Alte Zangen, Blinker, sicher 20 Dosen mit Kleinzeug usw. Gefischt hat er immer mit winzigen selbstgebastelten Schwimmern, die er fein säuberlich in 10-15 Rottönen lackiert hatte „Des rot – des sengen die Hechtn net!“ Dazu zwei uralte riesige gelbe Hohlruten mit den klassischen tschechischen Kapselrollen. Und sein Fisch war der Hecht, den er vom Boot aus mit Köderfischen gefangen hat. Apropos Boot – das war kein Boot, das war ein alter metallener Sautrog mit einem Rasenmähermotor umgebaut als Aussenborder. Aber er hat funktioniert.
Ich war in den darauffolgenden Jahren regelmässig an der Talsperre fischen und freute mich immer den alten Schillinger in seinem Boot zu treffen. Aja, wir haben auch gscheit gesoffen haha! Er liebte den Himbeergeist und ich musste ihm immer ein feines Tröpferl von den Weinviertler Hausbrennern mitnehmen. Ich glaub seither mag auch ich die klaren Schnäpse.
Heute hat der Schillinger Karl seine letzte Ruhe am Friedhof von Znaim gefunden – direkt neben seinem Vater dem „hochverehrten“ K. u. K. Beamten aus Wien.
hm, eine traurige Geschichte aber so spielt eben auch das Leben...
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Re: Der alte Schillinger
Sehr schöne Geschichte.
Ich habe ja auch ein Flair für K&K und wenn ich in osteuropäischen Ländern bin, die vor 1918 zur K&K gehörten, bin ich auch immer auf der Suche nach Dingen, die daran erinnern.
Als ich noch jung war, lebten hin und wieder so Zeitzeugen.
Was mir besonders auch in so kleineren Städten dort gefällt, ist die typische Anordnung der Gebäude in der Altstadt. Man erkennt sofort, ob ein Verwaltungsgebäude, sei es ein Rathaus, ein Bahnhof oder eine Schule, noch aus der K&K Zeit stammt. Man kann in der tiefsten ungarischen Tiefebene in eine Kleinstadt kommen und erkennt sofort, aha, das muss einmal eine Garnisonsstadt gewesen sein......usw. .
Ich habe ja auch ein Flair für K&K und wenn ich in osteuropäischen Ländern bin, die vor 1918 zur K&K gehörten, bin ich auch immer auf der Suche nach Dingen, die daran erinnern.
Als ich noch jung war, lebten hin und wieder so Zeitzeugen.
Was mir besonders auch in so kleineren Städten dort gefällt, ist die typische Anordnung der Gebäude in der Altstadt. Man erkennt sofort, ob ein Verwaltungsgebäude, sei es ein Rathaus, ein Bahnhof oder eine Schule, noch aus der K&K Zeit stammt. Man kann in der tiefsten ungarischen Tiefebene in eine Kleinstadt kommen und erkennt sofort, aha, das muss einmal eine Garnisonsstadt gewesen sein......usw. .
- thomasfischt
- Huchen
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Re: Der alte Schillinger
Erinnert mich ein bisschen an Kroatien wo die ganz Alten noch unsere Monarchie erlebt haben und perfekt deutsch gesprochen haben.
Mich wundert immer wieder wie groß das Reich damals war. Wie schön das gewesen sein muss einen Seezugang gehabt zu haben.
Hundert Jahre später mit einigen schweren Wirren dazwischen schafft die Europäische Union das was man ursprünglich einmal als verloren geglaubt hatte.
Mich wundert immer wieder wie groß das Reich damals war. Wie schön das gewesen sein muss einen Seezugang gehabt zu haben.
Hundert Jahre später mit einigen schweren Wirren dazwischen schafft die Europäische Union das was man ursprünglich einmal als verloren geglaubt hatte.
- Andreas
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Re: Der alte Schillinger
Die nächste schöne Geschichte, danke! Wenn das so weiter geht, müssen wir bald in den Druck gehen.
- Romario
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Re: Der alte Schillinger
@Andreas - je länger ich nachdenken, umso mehr Geschichte fallen mir wieder ein
vom "Onkel Maxl" über "Den Wurstverkäufer", "den alten Kiesling" bis hin zum "Pulverturm-Teich"
aber schreiben muss ich sie halt noch
schön jedenfalls, dass euch die alten Geschichten gefallen
greets
vom "Onkel Maxl" über "Den Wurstverkäufer", "den alten Kiesling" bis hin zum "Pulverturm-Teich"
aber schreiben muss ich sie halt noch
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- Brasse
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Re: Der alte Schillinger
Eine sehr eindrucksvolle Geschichte- und so gut erzählt ! Ich hab beim Lesen ein bisserl mitgelebt, weil es in der Familie meiner Mutter ähnliche Schicksale-allerdings mit Vertreibung aus der alten Heimat- gegeben hat.
Gleich nach der "Wende" sind wir mit ihr einmal in ihre kleine Geburtsstadt Friedberg(Frymburk) -heute direkt am Lipno- gefahren und haben auch das Kircherl in dem sie getauft worden ist, besucht.
Im angrenzenden Pfarrhof trafen wir einen sehr alten Herrn, der perfekt Deutsch sprach. Er war auch ein Deutscher, ein Lehrer, der nach Kriegsende in Tschechien blieb oder bleiben musste und sein ganzes Arbeitsleben als Torfgräber oder Drainagierer -soweit ich mich da erinnere- gefristet hatte.
Wir haben ihm in Folge mehrmals Zeitschriften und Bücher gebracht oder geschickt, bevor er dann eher bald starb.
War das der Vranov ?
LG
Gleich nach der "Wende" sind wir mit ihr einmal in ihre kleine Geburtsstadt Friedberg(Frymburk) -heute direkt am Lipno- gefahren und haben auch das Kircherl in dem sie getauft worden ist, besucht.
Im angrenzenden Pfarrhof trafen wir einen sehr alten Herrn, der perfekt Deutsch sprach. Er war auch ein Deutscher, ein Lehrer, der nach Kriegsende in Tschechien blieb oder bleiben musste und sein ganzes Arbeitsleben als Torfgräber oder Drainagierer -soweit ich mich da erinnere- gefristet hatte.
Wir haben ihm in Folge mehrmals Zeitschriften und Bücher gebracht oder geschickt, bevor er dann eher bald starb.
War das der Vranov ?
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- Romario
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Re: Der alte Schillinger
hello
Ja das war der Vranov.
Heute nach fast 5jähriger Trockenheit eine Mondlandschaft - es fehlen gut 10m am Wasserspiegel.
Zum Thema Vertriebene/Heimatlose etc.: ich denke aber dass es damals jede Menge solcher Schicksale gab. Nur hat der Wind der Zeit sie leider alle davongeweht ... was geblieben sind, sind vage Erinnerungen in unseren Köpfen. Und irgendwann sind die dann auch weg - zeit eben ...
greets
Ja das war der Vranov.
Heute nach fast 5jähriger Trockenheit eine Mondlandschaft - es fehlen gut 10m am Wasserspiegel.
Zum Thema Vertriebene/Heimatlose etc.: ich denke aber dass es damals jede Menge solcher Schicksale gab. Nur hat der Wind der Zeit sie leider alle davongeweht ... was geblieben sind, sind vage Erinnerungen in unseren Köpfen. Und irgendwann sind die dann auch weg - zeit eben ...
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- Brasse
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Re: Der alte Schillinger
Und was ist da die Ursache? Ist der Damm undicht ? Und wohin sind dann alle jene kapitalen Hechte und Welse gekommen, für die der Stausee ja früher bekannt war ?
- Romario
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Re: Der alte Schillinger
Hello
Das Problem ist die Trockenheit der letzten Jahre. Kein Regen in Südmähren und im Weinviertel. Die Thaya führt nur mehr 35% des Wassers im Vergleich zu 2010 - und daher gibts auch im Vranov schlicht zuwenig Wasser.
lg
Das Problem ist die Trockenheit der letzten Jahre. Kein Regen in Südmähren und im Weinviertel. Die Thaya führt nur mehr 35% des Wassers im Vergleich zu 2010 - und daher gibts auch im Vranov schlicht zuwenig Wasser.
lg